In all den Jahren, seit ich in die Marken gezogen bin, habe ich zunehmend festgestellt, dass ich mich

„zurückentwickle“. Dies bitte ich nicht falsch zu verstehen, ich beziehe das auf unsere, die italienische, Esskultur.
Um eines gleich vorweg zu sagen, ich finde die deutsche Bereitschaft im Urlaub – und nicht nur da – alle möglichen ausländischen Speisen zu probieren, einfach beeindruckend. Diese Eigenschaft ist den meisten Italienern vollkommen fremd, denn sie möchten ihre Heimatküche nicht missen und sind somit recht wenig flexibel. Mittlerweile habe ich verstanden, warum es so ist.
Andere Länder anderes Essen
Ich erinnere mich noch sehr gut, als ich eines Tages aus Deutschland Meerrettich und Gelbwurst mitbrachte. Mein Freund Pietro beäugte sehr misstrauisch die Gelbwurst um dann zu einem Ergebnis zu kommen: das kann keine Wurst sein, denn so eine weiße Wurst gibt es nicht. Jede Wurst muss eine rötliche Farbe haben, sonst befinden sich sicherlich ganz fürchterliche Stoffe darin, die zu dieser „Nicht-Farbe“ führen. Zumindest testete er den Geschmack, fand ihn nichtssagend und nicht „wurst-konform“. Meine Vermieterin, die zufällig dazu kam, lehnte gleich ab, die Gelbwurst überhaupt erst einmal zu probieren.
Beim Meerrettich war ich etwas erfolgreicher, denn der wurde zwar als sehr speziell aber immerhin essbar eingestuft.
Wieviel Vielfalt braucht der Mensch?
Nun muss man noch anfügen, dass wir in Italien nicht diese Auswahl an Wurstwaren haben, wie sie in Deutschland

zu finden ist. Bei uns ist dies beschränkt in erster Linie auf alle möglichen Arten von Salamis und dem luftgetrockneten Schinken, der neben dem normalen auch noch die besonderen Ausführungen des „lonza“ und „lonzino“ bietet. Ersterer, im Norden auch unter „coppa“ bekannt, ist aus dem Schweinhals und somit etwas fetthaltiger, der lonzino dagegen ist aus der Schweinelende und vollkommen mager. Natürlich existiert daneben auch noch gekochter Schinken, der aber verhältnismäßig wenig Liebhaber findet. Zur Mortadella wird eher gegriffen.
Nun kommt der Knackpunkt meiner „Rückentwicklung“. Mittlerweile greife auch ich lieber zu den italienischen Salamis als zur Gelbwurst.
Weniger ist sehr viel mehr
Unsere Salamis bestehen aus Schweinefleisch, vielleicht noch mit ein wenig Rosso Piceno darin, Salz, Pfeffer und Schluss. Bei einigen Sorten kommt noch ein Stück „lardo“, also fetter Speck in die Mitte. Der Supermarkt bietet nur Wurstwaren, die aus der nächsten Gegend sind und somit uns allen bekannt. Wenn ich nun eine Wurst esse weiß ich, was sich darin befindet und dies hat für mich sehr große Wichtigkeit erreicht.

Der Preisunterschied ist nicht allzu groß zu industriegefertigter Ware, von der ich nicht weiß, woher sie kommt und was darin ist, denn von jeher wurde in Italien Wurst hauchfein geschnitten, so dass einem 100 g wie mindestens das Dreifache vorkommen.
Beim Fleisch verhält es sich genauso. Nun will ich wissen, wessen Fleisch ich esse, eine Tatsache, die ich früher niemals überdacht hatte. Von dem Fleisch, das ich kaufe, weiß ich, dass das Tier nicht mit allen möglichen Pharmaka auf engstem Raum und unter unwürdigen Bedingungen aufgewachsen ist, sondern eines der Tiere ist, die sich bis zu ihrer Schlachtung in erster Linie auf der Weide befinden, wo unsere Welt Gottlob noch unkontaminiert und in Ordnung ist.
Gewürzbord ade
Im Winter kaufe ich nicht mehr Erdbeeren von weiß-der Himmel-woher kommend, wie ich es früher schon ab und zu gemacht habe – um genau zu sein findet man im Winter normalerweise in den Geschäften bei uns bestenfalls tiefgefrorene Erdbeeren, aber kaum frische – sondern ziehe die Früchte der Saison, also Orangen und Mandarinen oder Kiwis und Granatäpfel, wenn möglich noch aus unserer Umgebung, auf jeden Fall vor.
Mein Gewürzbord, das in meinem „früheren“ Leben, also noch in Deutschland, mit mehreren Dutzend verschiedenen Ingredienzien bestückt war, von allen Arten an Curry über alle möglichen Salze, ist nun geschrumpft auf Salz, Peperoncino, Paprika, etwas Pfeffer und im Winter getrocknete Kräuter, im Sommer frische.
Ich übertünche nicht mehr die Speisen mit allen möglichen Gewürzen sondern nur dem unbedingt notwendigen und stelle immer mehr fest, wie gut meinem Körper diese Rückentwicklung bekommt, ein Zurücktreten auf die Stufe, wo das „Gewachsene“ Vorrang hat.
Wobei ich mir nicht mehr sicher bin, ob es nicht tatsächlich eher ein Sprung nach vorne ist als ein Rückschritt.
Sollten Sie sich auch gerne mit der ursprünglichen Küche und ihren Besonderheiten befassen wollen empfehle ich Ihnen sich einmal ein Reiseprogramm anzusehen, das sich mit der Küche der Marken beschäftigt:
http://kastner-marche-ital.de/reiseangebote-2015/khochgenuss-in-den-marche.php#758300a120142a90a